Geologie insight

von Gregor Steiner

Interview mit Dr. Iwan Stössel

Interview

 

Limmat-Club Zürich:

Wie kann so eine Höhle hinter dem Rheinfall entstehen?

Iwan Stössel:

Wir gehen davon aus, dass dies eine alte Geschichte ist. Was man sieht ist der Kalk aus der Jurazeit. Er ist über 100 Mio. Jahre alt. Vor etwa 50 Mio. Jahren lag er an der Oberfläche und ist sehr stark verwittert. In diesem Zusammenhang ist der Kalk auch verkarstet. Das heisst durch Lösungserscheinungen im Untergrund bilden sich Höhlen. In dieser Zeit war das Klima hier vergleichbar wie heute in den Tropen mit viel Niederschlag, feucht und warm. (lateritisch). Nun wurden diese Karsthöhlen gefüllt mit Boluston und Bohnerz. Aus dieser Region gibt es mehrere Stellen wo auch Eisen- und Erzindustrie angesiedelt waren, um das Bohnerz abzubauen, auch hier am Rheinfall gab es einen Hochofen. Bohnerze und Boluston sind viel weicher als der Karst. Als nun viel später der Rheinfall diese Höhle anschnitt, wurden diese Bestandteile vermutlich einfach aus der Höhle, durch das Wasser, erodiert.

Limmat-Club Zürich:

Wie muss man sich das mit dem Wasser vorstellen?

Iwan Stössel:

Das Wasser hat eine mechanische Abrasion und schleift den Rheinfallfelsen kontinuierlich ab. Irgendwann wurde diese unterirdische Höhle angenagt und dann auch ausgehöhlt.

 Limmat-Club Zürich:

Also ist es ein reiner Zufall, dass diese Höhle so im Rheinfall entstand?

Iwan Stössel:

Aus unserer Sicht hängt das nicht mit der Lokalität des Rheinfalls zusammen. Aber in diese Region hat es einfach verschiedene solche Höhlen. Z.B: Fand man beim Bau des . Diese Bohnerz-Vorkommen sind verbreitet im Gebiet um den Rheinfall.

Limmat-Club Zürich:

Ist Boluston weicher, so dass er einfach vom Wasser ausgespült werden konnte.?

Iwan Stössel:

Ja genau. Boluston ist ein weicher Ton, worin die Bohnerz-Kugeln stecken.

Beim Rheinfall gehen wir davon aus, dass es sich um Paleo-Karst handelt, welcher etwa 50 Mio. Jahre alt. Der Felsen ist etwa 150 Mio. Jahre alt und der Rheinfall ist ca. 15'000 Jahre alt. Interessant sind dabei die völlig verschiedenen Zeitalter, welche zum Rheinfall und dessen Höhle beigetragen haben.

Albert Heim beschrieb Anfangs 20. Jahrhunderts den Rheinfall. Dazumal konnte man das Bohnerz im Boluston nicht nachweisen. Doch aus Analogien in der Region lässt sich die Entstehung der Höhle ableiten. Auch heute entstehen noch Karsthöhlen ähnlich wie z.B. das Nidlenloch oder das Hölloch.

Limmat-Club Zürich:

Wie muss man sich die Höhle vorstellen, bei einem normalen Abfluss?

Iwan Stössel:

Ich gehe davon aus, dass bei einem grösseren Abfluss der Wasserspiegel nur ein wenig höher ist. Die Höhle ist dann ein Hohlraum voller Wassergischt. Vor ein paar Jahren, auch bei einem niedrigen Wasserstand, bin ich mit einem Boot vor die Höhle gefahren; da konnte man die Höhle ansatzweise erkennen; und es war ein Hohlraum.

 Limmat-Club Zürich:

Kann man auch während normalem Wasserstand in die Höhle oder mit einer Kamera dort reinschauen?

Iwan Stössel:

Nein das geht nicht, der Wasserdruck ist einfach zu gross. Technisch könnte man sicher eine Kamera einfügen, doch man würde nichts Unerwartetes oder Spannendes sehen; anders als eine nasse, dunkle Höhle. Es hat eher eine mystische als eine naturwissenschaftliche Bedeutung. Aber auch ich würde Eintritt bezahlen, wenn ich in die Höhle einsteigen und aus der Höhle in den Wasserfall schauen könnte.

 

Abflussmenge im Tagesmittel

 

 

Limmat-Club Zürich:

Die hydrologischen Zahlenreihen zeigen, dass an drei Daten seit 1904 der Abfluss ähnlich niedrig gewesen ist wie 1921. Damals konnte Carl Koch Fotos machen, welche die Höhle im Wasserfall zeigen. Diese Bilder hat das Stadtarchiv Schaffhausen im Internet zugänglich gemacht.

Das heisst, dass die Höhle ausser in den Jahren 1909, 1921, 1949 und 1963 eigentlich nicht sichtbar ist. Das macht es noch geheimnisvoller, weil man die Höhle eigentlich nie richtig sieht.

Iwan Stössel:

Ausser der Familie Mändli, welcher die Schifffahrt betreibt, wissen vermutlich die meisten Leute nicht, dass es dort im Rheinfall eine Höhle gibt. Das hängt damit zusammen, dass man die Höhle praktisch nie sieht.

Limmat-Club Zürich:

Wie kann man sich die Dimensionen der Höhle vorstellen?

Iwan Stössel:

Sie wird beschrieben mit einem Durchmesser von 6m und ist kugelförmig das heisst sie wird 4-6m tief sein. Das stimmt auch in etwa überein mit dem von Ihnen gezeigten Bild. Dies wird von Albert Heim auch so in seinem Büchlein über den Rheinfall (1931) beschrieben.

 

Höhle im Rheinfall

 

 

Limmat-Club Zürich:

Der Rhein fliesst vom Bodensee nach Basel und von dort nach Norden. Dies macht er so, weil er mit dem kristallinen Schwarzwaldgebirge gar nicht anders kann. Wie ist Ihre Interpretation dazu?

Iwan Stössel:

Grundsätzlich stimmt das. Doch die ganze Geschichte aufzurollen geht relativ lange.

Dar Schwarzwald hob sich vor 50 Mio. Jahre und der Rhein fliess früher durch das Klettgau. Noch früher wurde nach Osten über die Donau entwässert. Dies galt damals für das ganze heutige Mittelland.

Der Rhein hat eine sehr spannende Geschichte und floss aber auch durch das Klettgau zum heutigen Waldshut. Bei Laufenburg war eine enge, schmale Stelle, wo der Rhein durchmusste. Diese besteht heute noch, ist aber zufolge der Aufstauung des Rheins nicht mehr sichtbar.

Das Knie in Basel entstand durch die Absenkung zwischen dem Schwarzwald und den Vogesen und so fliesst der Rhein nach Norden. Damit ist der Rhein relativ stark an sein heutiges Bett gebunden.

Die NAGRA nahm sich auch der Frage an: Wie weit kann der Rhein runter erodieren? Dies ist von Bedeutung für die Endlagerung der radioaktiven Abfälle.

Limmat-Club Zürich:

Der Rhein hat seinen Flusslauf, geologisch gesehen, vor nicht allzu langer Zeit geändert, auch bei Schaffhausen. Wie war das möglich?

Iwan Stössel:

Die Vergletscherung der Eiszeiten hat die Entwässerung völlig geändert. Die Flüsse werden durch das Eis am Abfliessen gehindert und später bildeten sich durch die Verschotterung neue Wege für das Wasser.

So ist der Rhein bei Behringen durch das Klettgau geflossen. Die spätere Verschotterung drängte den Rhein nach Süden Richtung Tössegg. Gewisse alte Brüche hatten nur einen ganz kleinen Einfluss auf den Flusslauf.
In der letzten Phase wurde der Rhein wieder durch die Gletscher aus dem Flussbett gedrängt. Danach fand der Rhein nicht mehr ganz genau in seinen angestammten Flusslauf zurück. Und genau am Rheinfall ist der Übergang von seinem neueren in einen älteren Flusslauf. So ergab sich die Höhendifferenz des Rheinfalles. Und nun stellt sich die Frage: Seit rund 15'000 Jahre ist der Rheinfall dort, wo er auch heute noch ist. Warum ist er nicht zurückerodiert Richtung Bodensee? Der Rhein hat in dieser Gegend eine relative kleine Erosionswirkung, da das Geschiebe im Bodensee bleibt; und das Geschiebe hat der Hauptanteil an der Erosion. Das ist das Glück der Schaffhausener, dass sie immer noch der Rheinfall vor der Haustüre haben.

Limmat-Club Zürich:

Auch sehr speziell am Rheinfall ist der Felsen mitten im Rheinfall, was andere berühmte Wasserfälle so nicht vorweisen können.

Iwan Stössel:

Nun gibt es noch eine andere spezielle Komponente am Rheinfall. Diese Felsen stehen wie Zähne im Fluss. Dies sind die Reste von einem alten «Riffsystem». Am Felsen gibt es Reste von Algen und Schwämmen, welche man in der ganzen Gegend findet. Der Rheinfall ist auch so ein Schwamm-Algen-Riff Körper und hat deswegen seine spezielle Form.

Limmat-Club Zürich:

Kann man sich dies als Ablagerungen von Algen und Schwämmen vorstellen, welche besser gegen die Erosion durch das Wassers geschützt sind?

Iwan Stössel:

Der Stein ist wie ein Korallenriff, jedoch nicht von Korallen gebaut worden. Also sozusagen das Skelett dieser urzeitlichen Schwämme und Algen, welche miteinander den Stein hergestellt haben. Dieser ist resistenter gegen die Wasser-Erosion. Er wird vom Wasser auch angegriffen, aber einfach weniger stark.
Eigentlich sieht man 150 Mio. Jahre alte Riffsysteme.

Limmat-Club Zürich:

Sie kommen aus der Region Schaffhausen. Kennen Sie Sagen oder Mythen um die Höhle des Rheinfalls?

Iwan Stössel:

Ich habe mich nie dieser Frage gewidmet. Mir sind keine Geschichten oder Sagen um die Höhle des Rheinfalles bekannt. Doch möchte ich das nicht ausschliessen. Es gibt ja viele Sagen und Geschichten um den Rheinfall. Auch gibt es Sagen von anderen Wasserfällen, wo Gestalten hinter dem Fall leben. Daher wäre es naheliegend für eine solche Geschichte.

Limmat-Club Zürich:

Bei anderen Wasserfällen kann man auch hinter dem Wasser durchgehen. Wie schätzen Sie das ein, dass diese auch eine Höhle besitzen?

Iwan Stössel:

Das Zusammenspiel der verscheiden harten Untergründe mit den Karstlöchern ist eine sehr spezielle Situation. Das ist bei den meisten anderen Wasserfällen nicht so ausgebildet.

Limmat-Club Zürich:

Herzlichen Dank für diese interessanten Ausführungen und die bereitwillige Unterstützung.

Iwan Stössel:

Beeindruckend finde ich, wenn man mit dem Boot in die Nähe des Rheinfalls kommt. Die Kraft des Wassers, wie die Luft in Bewegung kommt; welche Energie der Rheinfall in hat!

 

Zur Person


Stössel, Iwan

Dr. Iwan Stössel ist Konservator und Dozent am Departement für Erdwissenschaften der ETH Zürich. Er war bis vor kurzem Abteilungsleiter Umweltschutz und Vize-Abteilungsleiter Umwelt am Interkantonalen Labor Schaffhausen. Er ist Gründer und Projektleiter des Kindercampus Schaffhausen und ist Co-Präsident der Naturforschenden Gesellschaft Schaffhausen.

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