Das Geheimnis des Rheinfalles
von Gregor Steiner
Erstmals vor 100 Jahren fotografiert
Die Höhle im Rheinfall
Kaum zu glauben aber, auf der Zürcher Seite des Rheinfalls befindet sich eine Höhle. Diese ist mit ca. 6m Durchmesser und 4-6m Tiefe auch imposant. Leider sieht man sie nur wenn der Rhein ganz wenig Wasser führt. Das letzte Mal als dies geschah war bei extremem Niedrigwasser am 3. April 1921; also genau vor hundert Jahren. Doch eigentlich zeigen die hydrologischen Datenreihen gar nicht an diesem Datum den tiefsten Wasserstand an.
Weidling bei der Höhle
Foto_CarlKoch,Schaffhausen_1921_StadtarchivSchaffhausen#J0214010521
Hydrologische Daten
Die langjährige Datenreihe des BAFU seit den ersten Aufzeichnungen ab dem Jahr 1904 zeigen noch andere, tiefe Wasserabflüsse. z.B.:
- 03.1909 mit 104 m3/sec;
- 03.1921 mit 110 m3/sec;
- 01.1949 mit 108 m3/sec;
- 02.1963 mit 115 m3/sec.
Abflussmenge im Tagesmittel
Mit dem Boot zum Gelage in der Höhle
Doch auch vor den veröffentlichten Datenreihen des BAFU wurden ebenfalls sehr tiefe Abflussmengen registriert. Die kleinsten beobachteten Werte sind:
- 01.1858 mit 58 m3/sec;
- 03.1882 mit 94 m3/sec.
Ebenfalls trocken lag die Höhle unter dem Rheinfall im Winter 1879/1880. Eine Gruppe junger Leute soll damals mit einem Boot zu ihr übergesetzt und darin ein Gelage veranstaltet haben.
Wie ist es also möglich, dass gerade am 3. April 1921 das Geheimnis – also die Höhle im Rheinfall -sichtbar war?
Dazu bringen die Aufzeichnungen von Albert Heim von 1931 eine Erklärung:
Um den Rheinfall ganz sichtbar zu machen, wurde am 3. April 1921, mit Hilfe des Kraftwerks auf der Schaffhauser Seite, der Rheinfall sozusagen trockengelegt. Dies erlaubte den Forschern auch von der Naturforschende Gesellschaft Schaffhausen den Rheinfall zu erforschen und zu dokumentieren.
Grafik aus «Geologie des Rheinfalls», Albert Heim 1931, Abbildung 8 Albert Heim
Wie ist die Höhle entstanden?
Um diese Frage zu klären durften wir ein Interview mit Iwan Stössel von der ETH Zürich führen.
Wie kann eine Höhle hinter dem Rheinfall entstehen?
«Wir gehen davon aus, dass dies eine alte Geschichte ist. Was man sieht ist der Kalk aus der Jurazeit. Er ist über 100 Mio. Jahre alt. Vor etwa 50 Mio. Jahren lag er an der Oberfläche und ist sehr stark verwittert. In diesem Zusammenhang ist der Kalk auch verkarstet. Das heisst durch Lösungserscheinungen im Untergrund bilden sich Höhlen. Nun wurden diese Karsthöhlen gefüllt mit Bolus-Ton und Bohn-Erz. Bohn-Erze und Bolus-Ton sind viel weicher als der Karst. Als viel später der Rheinfall diese Höhle anschnitt, wurden diese Bestandteile vermutlich einfach aus der Höhle, durch das Wasser, erodiert.»
Wie muss man sich die Höhle vorstellen bei einem normalen Abfluss?
Iwan Stössel:
«Ich gehe davon aus, dass bei einem grösseren Abfluss der Wasserspiegel nur ein wenig höher ist. Die Höhle ist dann ein Hohlraum voller Wassergischt. Vor ein paar Jahren, auch bei einem niedrigen Wasserstand, bin ich mit einem Boot vor die Höhle gefahren; da konnte man die Höhle ansatzweise erkennen; und es war ein Hohlraum.»
Im Interview gab Iwan Stössel auch weitere spannende Erkenntnisse zur Geologie um den Rheinfall preis.
Eine Verwechslung der Daten?
Die Publikation von Albert Heim aus dem Jahr 1931, also 10 Jahre nach dem Ereignis und die Postkarte zeigen des niedrigsten Wasserstandes vom 3.IV.1921. Albert Heim spricht von ca. 100 m3/sec welche auf 45-50 m3/sec «zurückgestellt» wurden.
Höhle im Rheinfall als Postkarte vom 3.4. oder 4.3.1921?
Postkarte_Höhle_Rheinfall_1921
Die hydrologische Datenreihe zeigt den tiefsten Wasserstand am 4.3.1921 mit 110 m3/sec. Am 3.4. 1921 wird eine Abflussmenge von 125m3/sec gemessen. Heim beschreibt die Drosselung der Abfluss menge während 30 Minuten von 14:15-14:45 Uhr. Dies könnte auch den Peak am 4.3.1921 erklären. Es könnte sich aber auch um einen Aufzeichnungsfehler handeln.
Die wichtigsten Zahlen in Kürze
Ganz selten (zwei bis drei Mal pro Jahrhundert) zeigt sich eine grosse Höhle im Rheinfall. Die ganz spezifischen geologischen Eigenschaften der Region ermöglichten dieses einmalige Phänomen.
Höhle
- Die Dimension der Höhle: 6m Ø (Durchmesser) und ca. 4-6m Tief
- Alter der Höhle: 50 Mio. Jahre (Paleo-Karst)
Rheinfall
- Dimensionen Rheinfall: 25m hoch 150m breit
- Abflussmenge: 95 – 1250m3/sec
- Alter des Rheinfalls: 15'000 Jahre
- Alter des Felsen im Rheinfall: 150 Mio. Jahre
Weitere Informationen
Das ganze Interview mit Dr. Iwan Stössel ist hier abgelegt. (https://limmat-club.ch/index.php/blog-details/geologie-insight.html)
Publikation von Albert Heim von 1931 gibt es hier: Geologie des Rheinfalls (e-periodica.ch)
Die Inspiration zum obigen Text kam von diesem Artikel im Tages-Anzeiger.
Zur Person
Stössel, Iwan
Dr. Iwan Stössel ist Konservator und Dozent am Departement für Erdwissenschaften der ETH Zürich. Er war bis vor kurzem Abteilungsleiter Umweltschutz und Vize-Abteilungsleiter Umwelt am Interkantonalen Labor Schaffhausen. Er ist Gründer und Projektleiter des Kindercampus Schaffhausen und ist Co-Präsident der Naturforschenden Gesellschaft Schaffhausen.